vom 29.06.2018 - Autorin: "Sanny"
Ich hatte heute morgen während eines Gesprächs über die Bibel ein Aha-Erlebnis, was mein Bibelverständnis "früher und jetzt" angeht. Und da ich vermute, dass dieses Thema durchaus andere Christen beschäftigt, mag ich das einfach mal mit euch teilen.
"Tja, und dann gibt es da plötzlich diese Verse, die mich fassungslos zurück lassen, die mich an Gottes Liebe zweifeln lassen, oder die ich am liebsten aus der Bibel streichen würde"
Ich hatte heute morgen während eines Gesprächs über die Bibel ein Aha-Erlebnis, was mein Bibelverständnis "früher und jetzt" angeht. Und da ich vermute, dass dieses Thema durchaus andere Christen beschäftigt, mag ich das einfach mal mit euch teilen.
Besonders im Alten Testament finden sich ganz oft die Worte: "Gott spricht" bzw. "und Gott sprach zu XY ..." Und dann folgt z.B. eine Aufforderung an einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen, was diese tun oder nicht tun sollen, oder eine Ankündigung dessen, was Gott tun wird oder eine Beschreibung von Gottes augenblicklichen Gedanken oder Gefühlen.
Da gibt es wunderschöne Verse wie "Fürchte dich nicht", "ich will mit dir sein", "ich will dich segnen", die ich natürlich gerne als "Gottes Wort" auf mich beziehe und mich freue, wie sehr Gott mich liebt, und mich bestärken, dass ich im Vertrauen auf diese seine Liebe leben will.
Da gibt es ethische Aufforderungen wie "unterdrückt die Waisen und Witwen nicht" oder "übt Gerechtigkeit", die ich aus vollstem Herzen als Gottes Willen, weil er alle Menschen liebt und Gutes und Gerechtigkeit für jeden Menschen wünscht, anerkennen kann und mich danach ausstrecke, aus dieser seiner Liebe heraus zu handeln.
Tja, und dann gibt es da plötzlich diese Verse, die mich fassungslos zurück lassen, die mich an Gottes Liebe zweifeln lassen, oder die ich am liebsten aus der Bibel streichen würde
Tja, und dann gibt es da plötzlich diese Verse, die mich fassungslos zurück lassen, die mich an Gottes Liebe zweifeln lassen, oder die ich am liebsten aus der Bibel streichen würde, weil es genau solche Worte sind, die Atheisten mir höhnisch um die Ohren hauen, wenn sie mir beweisen wollen, dass der Gott, an den ich glaube, nur ein rachsüchtiger, despotischer, egoistischer, schrecklicher und grausamer Gott ist - falls es ihn denn gäbe ...
Da ist die Aufforderung Gottes an Abraham, seinen Sohn zu opfern - welcher liebende Gott testet einen Menschen auf so eine Weise? Nur um zu sehen, ob er „gehorsam“ ist?
Da sind die Worte Gottes zum Satan, dass er Hiob ruhig alles wegnehmen kann, um zu sehen, ob er dann immer noch an Gott festhält - würde nicht jeder vernünftige Mensch ein solches Handeln als grausam und unfair ansehen? Menschen einfach sterben zu lassen wegen einer Wette?
Da sind abermals Worte Gottes an Abraham, dass er die verfluchen wird, die Abraham verfluchen - liebt Gott denn manche Menschen mehr, und manche weniger?
Da ist die mehrfache Aufforderung an Israel, seine Feinde ganz auszurotten (was sämtliche Kinder der fremden Völker mit einschließt), und der ausgesprochene Zorn Gottes darüber, dass Israel ihm in diesem Punkt nicht gehorsam ist - wie ist ein liebender Gott mit diesem Aufruf zum Völkermord zu vereinbaren?
Eine Möglichkeit, aus diesem Dilemma zu kommen, wäre es, den gesamten Glauben als von Menschen erdacht anzusehen und mich davon zu verabschieden, dass mir in der Bibel Gott oder "Gottes Wort" begegnet.
Und die Liste wäre beliebig fortzusetzen. Eine Möglichkeit, aus diesem Dilemma zu kommen, wäre es, den gesamten Glauben als von Menschen erdacht anzusehen und mich davon zu verabschieden, dass mir in der Bibel Gott oder "Gottes Wort" begegnet. Dann wäre all das nur ein Ausdruck menschlicher Bemühungen, die Welt zu erklären. Und die Vorstellung, dass Gott auf solche Weise spricht und handelt, dem menschlichen Geist entsprungen, der halt in Kategorien von Vergeltung und Erwählung denkt. Viele Menschen sehen die Bibel so, und haben sich von dem Gedanken verabschiedet, dass es einen Gott geben könnte, der mit ihnen in irgendeiner Beziehung stehen möchte.
Aber das ist mir zu wenig. Ich möchte an dem Glauben festhalten, dass es einen Gott gibt, der sich Menschen in ihrem Denken mitteilt und dieses Denken zu immer mehr Liebe und wiederherstellender, nicht vergeltender Gerechtigkeit weitet. Wenn ich nun an einen liebenden Gott glaube und die Bibel – wie in den christlichen Kreisen, aus denen ich stamme - als "Gottes Wort" ansehe, kann ich mich natürlich flüchten in den oft benutzten Satz, dass Gottes Wege halt höher wären als unsere Wege, und wir eben nicht den tieferen Sinn dahinter verstehen könnten, der dann irgendwie doch wieder Gottes Liebe entspricht. Dass ich halt Gott vertrauen kann, auch wenn ich ihn nicht verstehe.
Und ich fürchte, wenn ich glaube, dass Gott Völkermord gewollt hat und Menschen auf so grausame Weise "testet", hat das Auswirkungen auf meine Art, wie ich selbst mit anderen Menschen umgehe.
Aber auch das ist mir zu wenig. Selbst wenn ich grundsätzlich glaube, dass ich natürlich Gott immer nur unvollkommen begreifen werde, möchte ich nicht meinen Verstand ausschalten, der mir an dieser Stelle einen Widerspruch zwischen Gottes Liebe und "Gottes Wort" aufzeigt, da Gott mir ja eben diesen Verstand gegeben hat. Und ich fürchte, wenn ich glaube, dass Gott Völkermord gewollt hat und Menschen auf so grausame Weise "testet", hat das Auswirkungen auf meine Art, wie ich selbst mit anderen Menschen umgehe. Dass ich das, was eigentlich der Liebe widerspricht, dann doch mit "Gottes Willen" legitimiere, und meine Ethik nicht auf der Liebe gründe, wie Jesus sie als "Erfüllung des Gesetzes" postuliert, sondern auf "Gehorsam gegenüber Gottes Wort", ohne dessen Sinn zu hinterfragen - und was wäre das für eine Ethik?!
Also habe ich mich auf den Weg begeben, den schon andere Christen vor mir gegangen sind, der auf den ersten Blick dem der Atheisten zu ähneln scheint: die Bibel ist für mich auch "Menschenwort", denn es sind Menschen gewesen, die in ihr ihre Erfahrungen mit Gott aufgeschrieben haben, und die natürlich begrenzt waren durch ihr eigenes Denken, ihre Erfahrungen und ihre Vorstellungen von Gott und der Welt. Und so finden sich in ihr auch ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, wie Gott handelt und was er Menschen aufträgt zu tun, und was "Gottes Liebe" oder "Gottes Gerechtigkeit" bedeutet. Damit ich nicht in völlige Beliebigkeit verfalle, orientiere ich mich als Dreh- und Angelpunkt, an dem ich sämtliche Bibelstellen "messe", an dem von Jesus zusammengefassten Gebot der Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe, das dieser sogar noch durch die Feindesliebe ergänzt, und welches er in seinem Leben und Wirken konsequent bis zum Schluss durchhält.
Damit ich nicht in völlige Beliebigkeit verfalle, orientiere ich mich als Dreh- und Angelpunkt, an dem ich sämtliche Bibelstellen "messe"
Und ich frage mich, was es für mich bedeuten kann, die Bibel dennoch auch als "Gottes Wort" anzusehen. Dabei halte ich fest an dem Glauben, dass es Gottes Geist war, der Menschen dazu inspiriert hat, das aufzuschreiben, was wir in der Bibel zusammen gefasst finden, und dass es daher nicht nur ein Geschichtsbuch oder Geschichtenbuch ist, sondern auch für mich heute noch als "Gottes Wort" wirken kann, weil Gottes Geist mich dadurch ebenso berühren kann, wie er die Schreiber damals berührt hat - aber natürlich auch mitten hinein in meine eigene Menschlichkeit und Begrenztheit durch meine Erfahrungen, mein Denken und meine Vorstellungen von Gott und der Welt. Allerdings ist in mir das Unbehagen in den letzten Jahren, seit ich mich auf diese Reise begeben habe, nie ganz verschwunden, dass ich damit einfach nur die Stellen als "menschlich" streiche, die mir nicht passen. Ich frage mich, was diese dann überhaupt in der Bibel zu suchen haben. Sind es nur Relikte einer alten Glaubenvorstellung, die sich erledigt hat, oder kann Gott auch durch sie zu mir sprechen? Wenn es so vieles in der Bibel gibt, was ich als zeitgemäß interpretiere, gibt es dann überhaupt noch etwas, was als „Gottes Wort“ übrig bleibt? Und das ist ja auch die Angst derer, die diesen Weg nicht beschreiten wollen und sich lieber weiterhin so wörtlich, wie sie es verkraften, auf die unbequemen Bibelstellen als „das steht so in der Bibel, also ist das so“ einlassen.
Wenn es so vieles in der Bibel gibt, was ich als zeitgemäß interpretiere, gibt es dann überhaupt noch etwas, was als „Gottes Wort“ übrig bleibt?
Und jetzt komme ich zu meinem Aha-Erlebnis: Mir ist heute plötzlich klar geworden, dass ich bisher gerade die alttestamentlichen Geschichten, in denen Gott spricht, irgendwie naiv gelesen habe, als hätte Gott in ihnen wirklich mit vom Menschen hörbarer Stimme gesprochen. Dieses "Gott spricht" der Bibel war für mich immer "höherwertiger" und klarer als sein Sprechen in meinem eigenen Leben. Und ich weiß, dass das einigen Gläubigen auch so geht. Dass man sich manchmal voller Neid wünscht, auch so ein klares Reden Gottes zu vernehmen, wie es bei den Menschen alttestamentlicher Zeiten offenbar üblich war. Vielleicht liegt das daran, dass man oft die Geschichten schon als Kind gehört hat und mit dem kindlichen Verständnis genau so genommen hat, dass da Gott und Mensch in einem richtigen "Gespräch" sind, wie wir es auch von Mensch zu Mensch sind. Aber was, wenn das nie so war, und wenn die Geschichten auch nie dafür gedacht waren, dass man das annehmen sollte? Wenn das "Gott spricht" in der Bibel das ist, was derjenige, der es erlebt hat bzw. derjenige, der es aufgeschrieben hat, als Gottes Reden verstanden hat, wie auch ich selbst in meinem Leben Gottes "Sprechen" in meine konkrete Situation hinein erfahren habe, ohne dass ich eine Stimme vernommen hätte? Durch Gedanken, die mir kommen, durch Gespräche mit anderen Menschen, durch einen inneren Frieden bei Entscheidungen, durch die Kraft, mit der ich Dinge angehen kann, durch Gefühle und Erfahrungen ... Wenn dieses "Gott spricht" der Bibel vor allem dies ist: ein In-Worte-Fassen dessen, was man von Gott begriffen zu haben meint?
Mir ist heute plötzlich klar geworden, dass ich bisher gerade die alttestamentlichen Geschichten, in denen Gott spricht, irgendwie naiv gelesen habe, als hätte Gott in ihnen wirklich mit vom Menschen hörbarer Stimme gesprochen.
Dann komme ich nämlich weg von dem "Aber Gott hat das doch gesagt - entweder stimmt das, dann bin ich ungehorsam oder bezichtige die Bibel der Lüge, wenn ich das nicht glaube ... oder es stimmt nicht, und es hat sich nur jemand ausgedacht, aber wozu ist die Bibel dann überhaupt noch gut?!"
Dann kann ich die Worte Gottes an Abraham, dass er seine Feinde verfluchen wird, deuten als Ausdruck von Abrahams Erfahrung und Glauben, dass Gott bei ihm ist und er vor seinen Feinden keine Angst haben muss - ohne zu "glauben", dass Gott parteiisch ist und nur die Menschen besonders segnet, die ihm folgen und die sich gut gegenüber seinen Lieblingen verhalten. Gottes Wort an mich ist dann nicht: „Ich verfluche deine Feinde!“, sondern: „Wenn du mir vertraust, werde ich dich durch alle Schwierigkeiten hindurch begleiten.“
Dann kann ich Abrahams "Test" durch Gott derart verstehen, dass Abraham - da in seiner Umwelt Kinderopfer normal waren - annehmen konnte, dass Gott so ein Opfer von ihm fordern würde, und mich daran freuen, dass Gott es offenbar geschafft hat, Abrahams Denken im rechten Moment zu verändern, so dass er plötzlich begriff, dass der Gott, den er als seinen Freund kennen gelernt hatte, so etwas nicht von ihm fordern würde.
Und traurig sein über Jephta aus einer anderen Geschichte, der Gott aus Dankbarkeit für einen Sieg das erste, was ihm bei seiner Rückkehr aus dem Krieg entgegen käme, zum Brandopfer versprach, und der leider dann seine Tochter opferte, weil er in seinem Denken gefangen blieb, dass ein Gott gegebenes Versprechen wichtiger sei als das Leben eines geliebten Menschen. Dann ist Gottes Wort für mich nicht: „Ich fordere absoluten Gehorsam und werde dich prüfen!“, sondern: „Ich will nicht, dass du dir liebe Menschen aus einem falsch verstandenen Gehorsam heraus opferst. Ich gebe mich ganz für dich hin. Du kannst meiner Liebe ganz vertrauen.“
Und ich kann die Geschichte Hiobs (die keine historische ist, sondern Fiktion) verstehen als den Versuch eines Menschen, die Ungerechtigkeit des Leidens in der Welt zu begreifen, nachdem der vorläufige Glaubenssatz "Gott segnet, die sich an seine Gebote halten, und schickt denen Leid, die das nicht tun" als unhaltbar erwiesen hat. So dass Gottes Wort für mich darin vielleicht ist: „Du wirst nicht unbedingt eine befriedigende Antwort auf das Leid in der Welt finden, aber du kannst dir sicher sein, dass ich in allem bei dir bin, und dass du nicht glauben musst, dass ich dir irgendein Leid als Antwort auf irgendein Fehlverhalten deinerseits schicke.“
Und die Aufforderung "Gottes", die Völker zu ermorden, kann ich als Reflektion der Menschen verstehen, dass es manchmal besser wäre, sich von allem radikal zu trennen, was einen davon abhalten könnte, so zu leben, wie man es eigentlich für richtig hält - nicht jedoch als Gottes Willen, andere Menschen zu töten, wenn sie einen vom Glauben abhalten können. Denn diese Geschichte ist im Exil aufgeschrieben worden, wo die Israeliten darüber nachdachten, wie es geschehen konnte, dass es dazu kommen konnte, und eine Antwort darin fanden, dass sie immer damit geliebäugelt hatten, wie die anderen Völker unter ihnen ihren Glauben lebten, und dass Gott darüber traurig gewesen war. Und Gottes Wort für mich ist vielleicht: „Zermartere dich nicht wegen der Dinge, die du nicht mehr ändern kannst, und glaube nicht, dass ich von dir verlange, dass du anderen Menschen schadest, um mir besser dienen zu können. Guck auf dich und auf mich, und nicht auf das, was andere Menschen machen.“
Gott spricht - ja, aber wie im Gespräch unter Menschen ist Kommunikation störanfällig. Und dass ein "Gespräch" in der Bibel steht, heißt nicht, dass das, was Gott dort "sagt", mit hörbarer Stimme vom Himmel kam und daher Gottes unumstößlicher Wille war und ist
Gott spricht - ja, aber wie im Gespräch unter Menschen ist Kommunikation störanfällig. Und dass ein "Gespräch" in der Bibel steht, heißt nicht, dass das, was Gott dort "sagt", mit hörbarer Stimme vom Himmel kam und daher Gottes unumstößlicher Wille war und ist - sondern dass Menschen Erfahrungen gemacht haben, die sie durch den Heiligen Geist im Licht ihres Glaubens und ihrer Weltsicht gedeutet haben. Und es bedeutet für mich, dass ich dieses Wort durch den Heiligen Geist im Licht meines Glaubens und meiner Weltsicht deuten kann. Und dass Gott sich nicht festlegt auf Buchstaben und steinerne Gesetze, sondern mit seinem Geist im Herzen von Menschen wirkt, die eben immer auch ihre Begrenzungen haben, aber durch ihn doch immer mehr zum Lieben in Freiheit gelangen.
Offenbar wollte er, dass wir mit Herz und Verstand leben und uns nicht auf einen starren schriftlich fixierten Maßstab stützen.
Hätte Gott gewollt, dass wir ein starres "Gott spricht" als absoluten Maßstab unseres gesamten Handelns ein für alle Male schwarz auf weiß haben, hätte er sich etwas Besseres ausdenken können, als einem primitiven Hirtenvolk (wie Atheisten die Israeliten von damals bezeichnen) die Bibel zu "diktieren" (wie es offenbar doch letztendlich als Vorstellung in den Köpfen mancher Gläubiger existiert), die ein aufgeklärter Mensch unserer Zeit als Sammlung einiger grausamer Märchen und größtenteils überholter Gesetzesvorschriften empfinden muss. Hat Gott aber nicht. Offenbar wollte er, dass wir mit Herz und Verstand leben und uns nicht auf einen starren schriftlich fixierten Maßstab stützen.
Also muss die Bibel wohl einen anderen Schatz bergen als den starren Maßstab, und diesen Schatz sehe ich genau darin, dass die Worte und Geschichten darin mein Herz berühren, mich herausfordern, zum Denken anregen und mein Handeln inspirieren. Dass sie mir zeigen, wie andere Menschen ihren Weg mit ihren Mitmenschen und mit Gott gegangen sind, und mir Mut machen und mich dabei begleiten, meinen Weg mit anderen Menschen und mit Gott zu gehen.
Über "Sanny"
Unsere Autorin, die unter dem Pseydonym "Sanny" schreibt, möchte aus Gründen, die ihr in ihrem Beitrag "Eine Momentaufnahme meines Weges" erfahren könnt, nicht namentlich genannt werden ;)