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Bild: Joachim Schäfer - Ökumenisches Heiligenlexikon

vom 09.11.2017 - Autor: anonym - übersetzt von Marco Neumann

Als Teil der Unterhaltung über Polyamorie und die Kirche möchte ich gern auch mal andere Stimmen als meine eigene (Chuck McKnight's) in diesem Blog zu Wort kommen lassen. Du wirst also ein paar Gast-Posts von anderen Polys und von christlichen Leitern lesen, die hinter Polyamorie stehen. Wenn Du etwas zu diesem Thema beitragen willst, lass es mich wissen!

Heute wirft ein Freund (der gern anonym bleiben möchte) die Diskussion um Karl Barth's kontroverse Beziehung mit Charlotte von Kirschbaum in die Waagschale. Wie kann Polyamorie unserem Verständnis dieser Sache hilfreich sein?


Paar-, Famielien- und Beziehungsberatung für alle denkbaren Konstellationen - polyamor ebenso wie monogam, homosexuell, bisexuell oder heterosexuell -  besucht uns auf:


Seit der kürzlichen Veröffentlichung von Thietz's Essay über die Briefe von Karl Barth und Charlotte von Kirschbaum hat es in der akademisch-theologischen Welt einige Aufregung um seine Beziehung zu seiner Assistentin gegeben, die bei ihm und seiner Frau wohnte. Sogar im evangelikalen Flaggschiff-Magazin Christianity Today - das noch nie ein wirklicher Fan von Barths neo-orthodoxer und borderline-universalistischer Theologie war - wurde diese Geschichte aufgegriffen. Tietz's Essay basiert auf den durch Barth's Kinder nun veröffentlichten Briefen zwischen Karl und Charlotte, die mehr detaillierten Einblick in die Natur ihrer Beziehung geben. Um auf dieses Essay zugreifen zu können, muss man bezahlen - allerdings bietet der "PostBarthian Blog" eine exzellente Zusammenfassung.

Im Wesentlichen geht es darum, dass Barth über 4 Jahrzehnte in einer polyamoren "V"-style (wie wir es heute nennen würden) Beziehung mit Charlotte und mit seiner Frau Nelly lebte. Sie verwendeten natürlich noch nicht diese Terminologie und sie hatten keinen sozialen Kontext, in dem ein solches Arrangement akzeptiert worden wäre. Sie versuchten einfach ihr Bestes, um mit der ungewöhnlichen Tatsache umzugehen, dass Karl sowohl seine Frau wie auch Charlotte sehr innig liebte.


Sie versuchten einfach ihr Bestes, um mit der ungewöhnlichen Tatsache umzugehen, dass Karl sowohl seine Frau wie auch Charlotte sehr innig liebte.


Von der Briefen her scheint es, dass Karl ebenso wie die Frauen bezüglich dieses Arrangements ihr Leben lang hin- und hergerissen waren und dass es allen Beteiligten sowohl Schmerz wie auch Freude brachte (oder in der Begrifflichkeit des Essays: "Trübsal und Glanz"). Es scheint besonders für Nelly schwierig gewesen zu sein, die nur widerwillig in dieses Arrangement einwilligte und sich - zumindest zeitweise - von Karl betrogen fühlte.

Diese Veröffentlichungen sind interessant aus der Perspektive eines christlichen Polyamoristen wie mir, der glaubt, dass Monogamie nur eine Möglichkeit ist, Beziehungen zu strukturieren und dass - da Liebe in Gottes Reich weder begrenzt noch besitzergreifend ist - verschiedenste Formen ethischer Nicht-Monogamie ebenfalls akzeptabel sind.

Einerseits bin ich geneigt zu sagen dass an Barth's Arrangement nichts grundlegend falsch war. Wenn er, Charlotte und Nelly nur gewusst hätten, dass Polyamorie eine legitime moralische Option war, hätten sie vielleicht einen gesünderen Weg hinein finden und sich selbst eventuell eine Menge Scham und Angst ersparen können.


...hätten sie vielleicht einen gesünderen Weg hinein finden und sich selbst eventuell eine Menge Scham und Angst ersparen können.


Andererseits - wie andere schon deutlich gemacht haben - was immer wir auch über die Moralität von Polyamorie glauben: Karl selbst glaubte, dass das was er tat falsch sei und trotzdem tat er es. Man fühlt sich erinnert an Paulus' Rat in Römer 14 zum Genuss von Fleisch, das Götzen geopfert wurde - dass "wenn irgendjemand etwas als unrein betrachtet, es für diese Person auch unrein ist."

Darüberhinaus tat Karl auch wissentlich Dinge, die Nelly verletzten, manipulierte sie die Situation zu akzeptieren, obwohl sie davon nicht völlig überzeugt war. Deshalb können wir nicht sagen, dass ihre polyamore Beziehung die volle Zustimmung aller Beteiligten gehabt hätte. Wir, die wir Polyamorie befürworten, befürworten keine Manipulation. Ein unwilliger Partner sollte niemals in ein polyamores Arrangement gezwungen werden, und in eine Beziehungsstruktur, inder sie sich betrogen fühlen und die sie nicht wünschen.

Natürlich sind 4 Jahrzehnte eine lange Zeit des Zusammenlebens zu dritt. Und soweit Barth's Briefe sich dazu äußern, gab es lange Zeiträume in denen Nelly mehr oder weniger mit der Situation versöhnt war. Nelly besuchte Charlotte sogar sieben Jahre auf deren Krankenbett nachdem Karl schon gestorben war und sie sorgte dafür, dass Charlotte im Familiengrab neben Karl beerdigt wurde, wo sie auch selbst ein Jahr später beerdigt werden würde.

Nocheinmal: Ihre Beziehung hatte Trübsal und Glanz. Wenn Polyamorie in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine sozial (und theologisch) eher akzeptable Option gewesen wäre, wären sie vielleicht in der Lage gewesen ein Arrangement auszuarbeiten, das für Nelly von Anfang an angenehmer gewesen wäre. Aber vielleicht auch nicht.


Ihre Beziehung hatte Trübsal und Glanz.


Aber wie auch immer: Was mir an dieser Situation am stärksten ins Auge fällt, ist Barth's tiefe Liebe für beide Frauen. Er hatte sich darauf festgelegt Beziehungen zu jeder dieser beiden Frauen zur gleichen Zeit zu pflegen, ohne eine wählen und die andere zurückweisen zu müssen. Dies sind die authentischen menschlichen Realitäten die viele von uns erlebt haben - die die meisten Menschen (würde ich behaupten) irgendwann ebenfalls erleben - aber für die unsere Gesellschaft typischerweise nur sehr wenige Optionen anbietet um damit umzugehen - sowohl in Barth's Tagen wie auch in unseren.

Ich glaube, dass Polyamorie viele gute Gaben für diese Welt bereithält. Und eine dieser Gaben ist eine größere Flexibilität in der Frage, was Du tun kannst, wenn Du Dich tatsächlich in einer Situation wiederfindest, in der Du mehr als eine Person gleichzeitig liebst. Polyamorie ermöglicht mehr Optionen als entweder eine Liebe zurückzustoßen um die andere zu behalten oder zu versuchen beide zu erhalten aber sich dabei sein ganzes Leben schuldig oder betrogen zu fühlen. Und ich glaube, alles, was die Gesamtsumme an Liebe in der Welt erhöht, ist eine gute Sache. 

 

Originaler Artikel von einem anonymen Autor

aus dem Englischen übersetzt von Marco Neumann

Artikel im Original lesen

 


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