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vom 21.11.2017 - Autor: Josh Way - übersetzt von Marco Neumann

Als ein Bewohner der westlichen Welt bin ich mit Weihnachten fast durch. Wir leben in einem Jahrhundert, in dem die kulturelle Verteidigung und die politische Ausbeutung von Weihnachten schon obszöner geworden sind als die fortgesetzte Kommerzialisierung dieser Feiertage. Aber als ein Christ und ein großer Fan von Jesus und Hoffnung bewundere ich die Adventszeit und den Heiligen Tag (genau - nur ein Tag) von Weihnachten und freue mich drauf. Es gibt dabei viel liebenswertes - von alten Traditionen bis hin zu jungen Erinnerungen.

Mein Zerwürfnis mit der christlichen Kultur und meine Reise durch biblische Studien in den letzten Jahren haben meine Beziehung zu Weihnachten verkompliziert und letztendlich völlig verändert - besonders im Hinblick auf die Geburtsgeschichten, die sich in der Bibel finden. Die Idee einer einzelnen, harmonisierten, "biblischen" Weihnachtsgeschichte gerät in alle möglichen Probleme, wenn die Texte aufmerksam gelesen werden.

Ich habe wenig Schwierigkeiten mit der Frage der Wahrheit oder Historizität, denn es sind Geschichten über Offenbarung und Glaube. Aber was bei genauer Untersuchung fallen gelassen werden muss, ist die Idee, die Bibel würde uns eine einzelne, vollständige und schlüssige Erzählung der Geburt Jesu präsentieren. Statt dessen bietet sie uns zwei sehr verschiedene und wir haben diese beiden in kleine Stücke zerschlagen um aus ihren Bruchstücken eine dritte, hypothetische zu konstruieren. Dies hier ist nun mein kurzer Artikel um deutlich zu machen, warum es sich lohnt, sie voneinander getrennt zu halten, ihnen zu erlauben zu sprechen, zu atmen und mit ihrer offensichtlichen Unvereinbarkeit umzugehen.

Unsere Geburts-Collage

Durch unseren Versuch, die beiden Geburtsgeschichten der beiden Evangelien zu "harmonisieren", haben wir die jeweils einzigartige und besondere Botschaft der einzelnen Geschichten unkenntlich gemacht. Wir haben eine neue Geschichte geschrieben, eine Collage die unsere eigenen Interessen und Ziele befriedigt aber die die echten Stimmen der Bibel ignoriert, während wir meinen, wir müssten ihre Worte besser anordnen.

Diese zusammengesetzte Weihnachtsgeschichte ist ein Schauspiel von bekannten aber unverbundenen Szenen: Maria und der Engel Gabriel, die Reise nach Bethlehem, der Zorn des Herodes, kein Raum in der Herberge, ein Besuch der Hirten, Flucht nach Ägypten und Rückkehr und die Magier mit ihren Geschenken. Möglicherweise ist uns vage bewusst, dass die einzelnen Elemente aus Matthäus und Lukas zusammengewürfelt sind, aber wir nehmen an, dass sie dazu gedacht sind, zusammengefügt zu werden - so als würde jeder Autor auf den anderen zählen, um die eigenen Lücken zu füllen.

Das Ergebnis ist eine Weihnachtsgeschichte, von Millionen geliebt, die aber nicht auf die Weise widerhallt, die ihre jeweiligen Autoren beabsichtigt hatten. Wir feiern eine wundersame Geburt, aber die Bedeutung dieser Geburt ist verwandelt worden in kulturelle Überlegenheit, religiöse Sicherheit und in einen vagen Grund für die Feierlichkeiten. Die originalen Geschichten hatten etwas deutlich anderes auf dem Herzen.

Offensichtliche Unstimmigkeiten

Um das Problem zu veranschaulichen, hier ein paar Beobachtungen und Fragen die ich nie bedacht hatte, bevor ich begann, die Geburtsgeschichten einzeln zu betrachten:

  • Warum nur zwei Geschichten? Warum gibt es keine einzelne Erwähnung der Geburt oder der Jungfrauengeburt im gesamten Neuen Testament?
  • Warum beschreiben Matthäus und Lukas zwei vollkommen unterschiedliche Abstammungslinien für Jesus?
  • Warum ist die Verkündigung des Engels bei Matthäus an Josef gerichtet, aber bei Lukas an Maria?
  • Warum hat Lukas' Engel einen Namen während der bei Matthäus unbenannt bleibt?
  • Warum wird die Geschichte bei Matthäus komplett aus der Sicht von Josef erzählt, während sie bei Lukas aus der Perspektive von Maria erzählt wird?
  • Warum nimmt Matthäus an, dass Josef und Maria zu Beginn der Geschichte bereits in Bethlehem lebten während Lukas sagt, sie lebten in Nazareth und mussten nach Bethlehem reisen?
  • Warum erwähnt Lukas nie die Wut des Herodes oder die Flucht nach Ägypten?
  • Warum bietet Matthäus Beispiele von "erfüllter Schrift" und Lukas nicht?
  • Warum brechen Lukas' Charaktere regelmäßig in Gesang aus während Matthäus' Charaktere das nicht tun?
  • Warum lässt Lukas die Magier weg und Matthäus die Hirten?

Auch wenn die Fragen nicht unbedingt unvereinbare Probleme oder Fehler aufzeigen, werden sie doch bei der traditionellen Harmonisierung übergebügelt. Im Lichte solcher Fragen empfehle ich ein ernstes und sorgfältiges Lesen jeder der beiden Geschichten, so dass sie sich beide entfalten und atmen können und sagen können, was sie sagen wollen.

Matthäus' Geburtsgeschichte: Ein neuer Mose

Matthäus erzählt die Geschichte von Josef, einem Nachkommen Davids, der in des Königs Heimatstadt Bethlehem lebt, mit seiner zukünftigen Frau Maria. Ein Engel erzählt Josef dass Maria, obwohl noch Jungfrau, bald ein ganz besonderes Kind gebären würde - den lang erwarteten Einen Gesalbten, welchen schon der Prophet Jesaja den  "Gott mit uns" nannte. Derweil folgten Astronomen aus dem Osten einem Stern nach Judäa und fragten nach dem Kind herum. Dies versetzt König Herodes in eifersüchtige Wut woraufhin er den Mord an allen kleinen Jungen in der Region befiehlt. Jesus wird geboren und Josef, der sich entschieden hatte Maria nicht zu verlassen, flieht mit ihr und dem Baby nach Ägypten. Als ein Engel ihm mitteilt, dass die Rückkehr sicher ist, kommt die Familie nach Judäa zurück aber siedelt nach Nazareth um, damit das Kind anonym und sicher bleibt.

Der Schlüssel zu Matthäus' Geburtserzählung ist, dass er einen erzählerischen Rahmen aus antiken jüdischen Schriften gewählt hat um seine Geschichte zu erzählen. Im Besonderen hat er die Geschichte von Mose und seiner Geburt gewählt. Jeder Charakter in Matthäus' Erzählung passt zu einem Typus aus der alten Erzählung: Baby Jesus ist Baby Mose, Josef ist Amram und Maria ist Jochebed, Herodes ist der Pharao und die Magier sind Jannes und Jambres, die Magier Ägyptens. Matthäus untergräbt diese Rollen um die Geschichte eines neuen Propheten zu weben, dem Gründer eines neuen Israels. Anstelle eines heidnischen Imperators ist der Bösewicht Israels eigener König und die Magier suchen den echten König zu ehren statt mit dem unrechtmäßigen gemeinsame Sache zu machen. Und eine weitere Überraschung ist, dass Ägypten hier ein Zufluchtsort wird, statt ein Gefängnis zu sein. Matthäus verkündet die Geburt des Messias in vollkommen vertrauter jüdischer Erzählweise, während er gleichzeitig eine Umkehrung der Werte und Erwartungen vornimmt.

Unglücklicherweise sind viele von uns im Nachteil weil wir nur die Mosetexte aus dem Buch Exodus kennen. Für seine Geschichte hat Matthäus allerdings die Erweiterungen der Geschichten in der jüdischen Midrasch angezapft (sozusagen den rabbinischen extended cut), die in seiner Zeit populär waren. Daraus stammen spezifische Details, wie beispielsweise das Element der Träume und die Frage der Trennung. Matthäus erwartet von seinen Lesern diese Zusammenhänge zu erkennen und ohne Anstrengung seine Botschaft zu verstehen: Dass ein neuer Mose geboren wurde, der eine neue Torah für ein neues Zeitalter bringt, aber dass Israel zu korrupt geworden ist, um es zu bemerken oder gar anzunehmen. Und wieder verwendet er dabei vertraute Themen und Typologien (fünf Träume und fünf "Erfüllungen" der Schrift um eine neue fünfteilige Torah zu konstituieren), aber auch unerwartete Unterwanderungen (die Anwesenheit von Frauen in Matthäus' messianischer Abstammungslinie und eine ehrenwerte Darstellung heidnischer Astronomen). Matthäus Geschichte dreht sich im Grunde um Gottes inklusive Liebe für Flüchtlinge und Fremde.

Lukas' Geburtsgeschichte: Gott offenbart unter den Geringsten

Lukas erzählt die Geschichte von Maria, einer jungen Jungfrau, die in Nazareth lebt und einem Mann namens Josef versprochen ist. Sie wird vom Engel Gabriel besucht und ihr wird mitgeteilt, dass sie ein heiliges Kind gebären wird - den Messias, der auf Davids Thron über Israel herrschen wird. Maria freut sich über diese Neuigkeiten und über die Erfüllung von Gottes Versprechen, sein Volk zu retten. Eine Volkszählung erfordert, dass Josef und Maria nach Bethlehem reisen, seiner Heimatstadt, wo sie bei seiner Familie bleiben und das Jesuskind geboren wird. Ein Engel verkündet die Geburt einer Gruppe armer Hirten, die kommen und die Familie besuchen. Nach all dem reisen Maria, Josef und das Baby nach Hause zurück, nach Nazareth.

Auch Lukas hat einen alttestamentlichen Rahmen für seine Erzählung gewählt und es ist die weithin geläufige "Öffnung des Mutterleibes" - Geschichte, im Besonderen die Geschichten von Abram und Sarai (Eltern von Isaak), Hanna und Elkana (Eltern von Samuel) und sogar Manoah und seine Frau (Eltern von Samson). In diesen Geschichten wird ein Paar, dass es nicht für möglich hielt ein Kind zu empfangen, von Gott mit einem Kind gesegnet. Diese Kinder wachsen auf, um entscheidende Rollen in der Geschichte Israels zu spielen, und ihre ursprünglichen Geschichten zeigen, dass Gott auf wundersame Weise gewirkt hat um ihr Geschick zu lenken.

Lukas' Erzählung hat keine ernsten Konflikte, ausgenommen vielleicht das persönliche Drama in der Nebenerzählung über Marias Cousine Elisabeth und ihrem Mann Zacharias, den Eltern des Propheten Johannes (eine Nebenerzählung, die auch aus den antiken Geburtsgeschichten stammt). Es gibt keine Bedrohung gegen das Kind wie in Matthäus' Geschichte, aber das scheint Teil von Lukas' Plan zu sein. Er nutzt seine Geschichte nicht dazu, aktuelle Machthaber zu konfrontieren, sondern übergeht sie einfach vollständig. Überleg mal: Die wichtigste Geburt der Geschichte wird vorhergesagt, erfüllt und offenbart - vollständig inmitten der Armen und Niedrigen, fast als wäre es ein Geheimnis, das nur für sie bestimmt ist. Gott wird nicht in den Hallen des Reichtums und der Macht offenbart, sondern inmitten der Demütigen und Mittellosen. Israels alte Sehnsucht wird nicht durch Schlachten oder Fanfaren beantwortet, sondern durch die persönlichen Zeugnisse von zwei bäuerlichen Frauen und einer Truppe sozial verzichtbarer Hirten. Trotz seines Verzichts auf dramatische Konflikte repräsentiert Lukas' Geschichte eine leidenschaftliche Auseinandersetzung mit den religiösen und imperialen Mächten, die in seiner Zeit regierten.

Das wahre Herz von Weihnachten wiederentdecken

Was beobachten wir also im Hinblick auf die zwei Weihnachtsgeschichten in der Bibel, nachdem wir sie einzeln betrachtet haben?

Beide haben einen starken Bezug zu bekannten Themen und Erzählungen aus den hebräischen Schriften - und zwar so weit, dass dieser Zusammenhang verdunkelt wird, wenn wir versuchen, sie zu harmonisieren. Beide machen sehr subversiven Gebrauch von diesen geborgten Elementen: Bei Matthäus um einen Hinweis auf unglaublich radikale Inklusivität zu geben und bei Lukas, um eine revolutionäre Umkehrung der sozio-ökonomischen Klassen anzuzeigen. Und beide durchdringend politisch, indem sie die etablierte Ordnung untergraben und eine neue Welt vergegenwärtigen (siehe z.B. Marias "Magnifikat" in Lk1,46-55).

Im Herzen der beiden Geschichten steht exakt dieselbe Verkündigung: Die wundersame Geburt des Messias! Aber jede hat ihre eigene Geschichte um diese Verkündigung konstruiert - und zwar mit einzigartiger und großer Kreativität. Dies sind keine Geschichten kultureller Macht oder religiöser Überlegenheit, sondern von Befreiung, Erlösung und Hilfe für die Bedürftigen und die am Rande Stehenden - buchstäblich Flüchtlinge und Immigranten. Das sind die Weihnachtsgeschichten - klassisch und relevant, freudig und wahr.

 

Originaler Artikel von Josh Way

aus dem Englischen übersetzt von Marco Neumann

Artikel im Original lesen

 



Über Josh Way


Josh Way ist ein Schriftsteller, Cartoonist und Webdesigner, der mit seiner Frau und seiner vierjährigen Tochter in Pearl River, NY lebt. Er hat einen Master-Abschluss in Biblischer Literatur vom Alliance Theological Seminary. Er blogt auf http://bible.joshway.com und posted Patreon-unterstützte Comedy-Videos auf http://patreon.com/joshway.

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