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vom 20.09.2017 - Autor: Ryan Stollar - übersetzt von Marco Neumann

Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. (1. Mose 22, 6-10)

Die Opferung Isaaks ist eine der beunruhigendsten Passagen in der Bibel. Abraham bringt seinen Sohn Isaak auf einen Berg in Morija, fesselt ihn mit einem Seil und hebt das Messer um ihn umzubringen - all das als ein Opfer für seinen Gott Jahwe. Erst im letzten Moment wird Isaaks Leben verschont. Dieser Abschnitt hat fassungslos gemacht, verwirrt und alle möglichen Interpretationen provoziert. Es wurde verteidigt und kritisiert - und trotzdem ist die Passage bis heute schwer nachvollziehbar. Ist dies das ultimative Beispiel von religiös gerechtfertigtem Kindesmissbrauch, nur noch übertroffen von Jahwes späterem Opfer seines eigenen Kindes Jesus?

Ehrlich, diese Passage verwirrt mich. Ich will nicht andeuten, dass ich die wahre Interpretation gefunden hätte. Aber ich möchte aufzeigen auf welche Weise wahrscheinlich die meisten Interpretationen das Wesentliche übersehen haben, indem sie sich so sehr auf Abraham konzentrieren und es deshalb versäumen, die Perspektive des Kindes zu berücksichtigen. Die meisten Interpretationen fragen sich, ob wohl Abraham das richtige getan hat, ob Abraham wirklich vorhatte seinen Sohn zu töten, ob Jahwe Abraham wirklich hätte gewähren lassen, ob Abraham ein Vorbild des Glaubens ist. Wenig Aufmerksamkeit wurde auf Isaak gerichtet - nicht nur auf die Rolle die er gespielt hat, sondern - noch wichtiger - darauf wie er die betreffenden Ereignisse erlebt hat. Der berühmte christliche Philosoph Soren Kierekgaard zum Beispiel führt in Furcht und Zittern aus, dass Abraham seine religiösen Belange über seine ethischen Belange stellte, und dadurch sein Vertrauen in Gott bewies - aber was ist mit Isaaks religiösen Belangen? Bedeutet Isaaks Beziehung zu Gott gar nichts, einfach weil er ein Kind ist? Interpretationen wie Kierkegaards berücksichtigen die mögliche Qual für Abraham während er durch diese Prüfung ging, aber versäumen es, sich auf den überwältigenden Terror zu konzentrieren, den Isaak wohl erlebte.

Wie ich an anderer Stelle schon sagte, ist mein Ziel dieser Tage biblische Passagen unter dem Gesichtspunkt der Befreiung für Kinder und dem Schutz für Kinder zu betrachten. Deshalb interessiert es mich, diesen Abschnitt aus dem Blickwinkel von Isaak zu betrachten. Und ich versuche zu erforschen, was diese Passage uns heute über Kinder zu sagen hat - in unseren gegenwärtigen Kontexten. Wie können wir diesen Abschnitt in einer Weise überdenken, die uns hilft, unsere Kinder heute besser zu schützen? Wie können wir über die Folgen von Isaaks Erfahrung nachdenken, so dass wir unsere Kinder in unseren Glaubensgemeinschaften besser freisetzen können?

Die erste Frage, über die wir uns Gedanken machen müssen, ist das Alter von Isaak. Einige Lehrer halten Isaak zum betreffenden Zeitpunkt für einen Erwachsenen, vielleicht so um die 32 Jahre alt. Andere meinen, er wäre ein Kleinkind oder ein älterer Teenager gewesen. Ich tendiere dazu Terence E. Fretheim zuzustimmen, der argumentiert, dass Isaak wahrscheinlich 12 oder 13 war. Fretheim sagt: "Einerseits war er alt genug um das Holz zu tragen und Fragen zu stellen, die die Fähigkeit voraussetzen, eine Situation und die damit verbundenen potentiellen Probleme zu analysieren (Genesis 22,6-7). Andererseits spricht Gott über ihn als "Junge" (22,12) und er ruft Abraham als "Vater" (22,27). Isaak ist offenbar alt genug um zu bemerken, dass Abraham eine Reise für ein Opfer macht ohne das benötigte Tier mitzunehmen. Aber Isaak scheint seinem Vater absolut zu vertrauen, ungeachtet der Unheil verkündenden Vorzeichen der Geschichte - er scheint also jung genug um ein kindliches Vertrauen in die täuschenden Worte seines Vaters zu haben.

Ich denke dieser kindliche Glaube Isaaks - der dem verräterischen Betrug seines Vaters begegnet - ist ein Einstiegspunkt in die Geschichte. Isaak vertraut darauf, dass sein Vater das Beste für ihn im Sinn hat und die Wahrheit darüber sagt, dass Gott für ein Tier zum Opfern sorgen wird. Isaak zögert nicht wenn er damit beauftragt wird, das Feuerholz zu tragen. Als Isaak seinen Vater fragt woher das Tier kommen wird, akzeptiert er die Antwort ohne weiter nachzufragen. An dieser Stelle ist wichtig zu bemerken, dass Isaak hier noch spricht - er zögert nicht, seine Zweifel auszusprechen. Das ist bemerkenswert denn ab dem Zeitpunkt als Abraham seinen Sohn an das Holz fesselt, wird Isaaks Stimme nicht mehr gehört.

Ich denke das Verschwinden von Isaaks Stimme spricht Bände. Es kennzeichnet, dass Isaak weiß, dass er betrogen wurde. Beachte, dass Isaak Abraham offen fragt, woher das Tier kommen wird - aber Abraham belügt sein Kind. Abraham wußte sehr gut was Gott gesagt hatte und dass Gott ihn darum gebeten hatte, seinen Sohn zu opfern. Ob Abraham darauf vertraute, dass Gott für eine Alternative sorgen würde oder ob Abraham damit rechnete, dass Gott sogar Tote auferwecken könne (Hebräer 11,19) ist an diesem Punkt irrelevant. Auch wenn Abraham irgendeinen dieser Gedanken gedacht hätte - er bezog Isaak nicht mit in diesen Prozess ein. Stattdessen hielt er Isaak auf Distanz und war nicht offen zu ihm. In seiner inbrünstigen Hingabe an Gott verpasste Abraham die Chance, Seite an Seite mit seinem Kind zu gehen - als Partner im Glauben.

Der eigentliche Augenblick des Fesselns erscheint brutal im Text. Wir erfahren nicht ob sich Isaak wehrte oder gegen seine Vater ankämpfte, aber die schonungslose Gewalt der Erzählung wird spürbar. In einem Moment ist Isaak ein redefreudiges, vertrauensvolles und neugieriges Kind - im nächsten Moment ist er still, unbeweglich und unterdrückt. In einem Moment ist Isaak ein Subjekt, ein menschliches Wesen, dass Wissen über Gottes Wege sucht - im nächsten Moment ist er auf ein Objekt reduziert, ein Ding, dass geopfert werden soll, damit sich ein Erwachsener mit Gott besser stellen kann.

Obwohl ich wünschte, dass ich das ganze Ereignis weg erklären könnte, macht dieser Text jedoch klar, dass Gott Abrahams Vertrauen lobt. Deshalb ziehen viele Menschen Parallelen zwischen Abraham, der Isaak opfert und Jahwe, der Jesus opfert. Aber ich denke, die Geschichte um die Opferung Isaaks ist eine warnende Fabel, trotzdem Gott Abrahams Glauben lobt. Es ist eine warnende Geschichte, weil es genau das Gegenteil von Jesu Opfer ist.

Jesus kam bereitwillig in unsere Welt. Auch wenn Johannes 3,16 sagt, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gab, deuten Jesu eigene Worte an, dass es seine eigene Entscheidung war, in unsere Welt zu kommen und in Beziehung zu uns zu treten. Jesus wählte diesen Weg. Er wählte es, ein Kind zu sein und unter uns zu wandeln - so wie Jahwe einst im Garten mit Adam und Eva wandelte. Als menschliches Kind und später als Erwachsener war Jesus immer Subjekt, immer selbst aktiv in seiner Spiritualität und in seinem Umgang mit seinen Gott-Elternteil Jahwe. Als Gott-Kind behält er Kraft in seiner Beziehung zu Jahwe und letztlich ist es Jesus, das Gott-Kind, das mit dem Schwert zurückkehrt um die Menschheit zu richten.

Im Gegensatz dazu ging Isaak nicht bereitwillig zur Schlachtung. Isaak traf keine Entscheidung ein Opfer zu sein. Und Abraham gab Isaak nicht nur keine Wahl in dieser Sache, Abraham löschte sogar die gesamte Handlungsfähigkeit seines Kindes aus. Er behandelte sein Kind als ein Objekt, ein Mittel zum Zweck, anstatt es als ein Subjekt zu behandeln mit seinen eigenen Gedanken, seiner Beziehung zu Gott und dem Recht über sein Leben zu bestimmen. Auch wenn Gott Abrahams Vertrauen lobt, ist zu bemerken, dass Gott niemals irgendeinen anderen Aspekt davon lobt, wie Abraham seinen Glauben in die Praxis umsetzt. Genaugenommen wird uns später von dem Propheten Jesaja gesagt, dass für Gott das Opfern von Kindern ein "Gräuel" ist, das ihm "nie in den Sinn gekommen ist" (Jer32,35).

Wenn Gott das Opfern von Kindern grauenvoll findet aber Abrahams Vertrauen lobenswert, scheint es vernünftig Abrahams Glauben davon zu trennen, was er aufgrund dieses Glaubens tut. Das ist kein ungewöhliches Ereignis in der Bibel. In Richter 11 zum Beispiel, gelobte Jeftah "dem HERRN ein Gelübde und sprach: Gibst du die Ammoniter in meine Hand, so soll, was mir aus meiner Haustür entgegengeht, wenn ich von den Ammonitern heil zurückkomme, dem HERRN gehören, und ich will's als Brandopfer darbringen." Aber "Als nun Jeftah nach Mizpa zu seinem Hause kam, siehe, da geht seine Tochter heraus ihm entgegen mit Pauken im Reigen. Sie war sein einziges Kind, und er hatte sonst keinen Sohn und keine Tochter." Jeftahs Glauben ließ ihn in einer dummen und unüberlegten Weise handeln.

Wendet man die Idee auf Genesis 22 an, dass Glaube nicht notwendigerweise zu moralischen Handlungen führt, dann scheint es möglich, dass der Text Abraham dafür verurteilt, dass er als Elternteil seine eigene Spiritualität über und gegen sein Kind stellt. Beachte dass wenn Abraham und Isaak den Berg besteigen, "die beiden gemeinsam gingen" (Hervorhebung von mir). Aber als es an den Abstieg ging, "kehrte Abraham zu seinen Diener zurück" (Hervorhebung von mir). Isaak kehrt nicht an der Seite seines Vaters zurückt.

Aber Isaak kehrt nicht nur nicht an der Seite seines Vaters zurück, er wird auch nie wieder in Beziehung mit seinen Eltern gesehen. Fretheim merkt an, dass "Abraham und Isaak sich in den nachfolgenden Erzählungen niemals wieder unterhalten, nicht einmal in Verbindung mit der Suche nach einer Frau für Isaak (Genesis 24). Während Isaak Abrahams Beerdigung beiwohnt (25,9), nimmt er nicht an Sarahs teil oder kehrt zu ihrem Totenbett zurück (Genesis 23). Außerdem: Warum würde Gott (und nicht Abraham) Isaak segnen (23,11)?"

Fretheim fragt dann: "Zeigen diese Details des Textes an, wenn auch sehr subtil, dass hier ein Kind missbraucht wurde?" Ich denke die Antwort ist ja - obwohl ich nicht finde, dass die Details in dieser Hinsicht subtil sind. Die Antwort ist eindeutig ja, ein Kind wurde missbraucht. Ein Kind wurde unterdrückt, ohne sein Einverständnis an Feuerholz gefesselt und musste dann mitansehen, wie sein eigener Vater ein Messer hob, um ihn zu töten. Punkt! Das ist Kindesmissbrauch! Während Jesus entschied, sich selbst zu opfern, wurde Isaak missbraucht. Während Jesus als ein Subjekt respektiert wurde, wurde Isaak zu einem Objekt reduziert.

Deshalb handelt es sich hier um eine warnende Geschichte über Eltern, die ihren eigenen Glauben über und gegen die Leben ihrer Kinder stellen. Ja, Abraham zeigte immensen Glauben. Aber dieser Glauben kostete etwas: das Schweigen und die Entfremdung seines geliebten Kindes. Gott lobte Abrahams Glauben aber Gott lobte niemals wie Abraham sein Kind belog und seinem Kind in dieser Sache keine Wahl ließ.

Wenn Abrahams Abstieg vom Berg und die spätere Distanz von Isaak irgendetwas bedeutet, dann dass Glauben ohne Liebe und Beziehung tot ist. Er tötet Menschen, manchmal ganz buchstäblich. Ich kann nicht anders als an Eltern denken, die glauben, Treue gegenüber Gott würde bedeuten, sie müssten ihre eigenen LGBTQ Kinder aus dem Haus werfen. Oder Eltern die zulassen, dass ihre Kinder wegen ihrer Hingabe an Heilung aus Glauben sterben. Oder Eltern, die ihre Kinder wegen einer kurzsichtigen Interpretation der Sprüche schlagen. Sicherlich ist ihr Eifer erstaunlich, aber sie verfehlen vollkommen das Anliegen des Evangeliums.

Das Evangelium findet sich in Beziehung, darin seinen Mitmenschen zu lieben und seinen Mitmenschen als ein Subjekt vor Gott zu sehen, nicht als ein Object, dass es im Namen der Reinheit zu opfern gilt. Wenn jemand seinen Mitmenschen im Namen des Glaubens opfert, verliert man das eigentliche Herz des Evangeliums.

 

Originaler Artikel von Ryan Stollar

aus dem Englischen übersetzt von Marco Neumann

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Über Ryan Stollar


R.L. Stollar ist ein Anwalt für Kinder und Überlebende von Missbrauch. Seine Arbeit wurde in nationalen und internationalen Medien und Akademien gewürdigt, einschließlich "The Guardian UK", "CQ Researcher", "Christian Science Monitor", "The Washington Post", "Georgetown Law Journal", "The New Yorker" und "Oxford University Press". Ryan ist der Autor des ersten und einzigen umfassenden Nachschlagewerkes über Vorbeugung von Kindesmissbrauch und Suizidverhütung, besonders zugeschnitten auf Familien und Gemeinschaften, die ihre Kinder zu Hause unterrichten.

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